© DIL
Dr. Volker Heinz hat an TU Berlin Verfahrenstechnik und Lebensmitteltechnologie studiert. Seit 2006 leitet er das DIL Deutsche Institut für Lebensmitteltechnik e.V. in Quakenbrück, eine außeruniversitäre Einrichtung zur angewandten Forschung zu technischen Fragen der Lebensmittelproduktion.
© DIL
In den vergangenen drei Jahrzehnten hat sich in Quakenbrück mit dem DIL ein international tätiges Institut mit rund 200 Experten der Lebensmittelwissenschaften entwickelt.
© DIL
Die Extrusionsanlage am DIL eignet sich für eine breite Palette von Anwendungen wie die Trocken- und Nasstexturierung von Proteinen, die Verkapselung von Wirkstoffen sowie die Kochextrusion von Snacks.

„WIR MÜSSEN NACHHALTIGER WERDEN“

Wie lassen sich Ernährungssicherheit und Nachhaltigkeit in Einklang bringen? Antworten auf diese Frage will der DIL Technology Day 2023 liefern, der vom 13. bis 14. Juni unter dem Motto "Technology for a changing world" in Quakenbrück stattfindet. LEBENSMITTELTECHNIK sprach mit Institutsleiter Dr.-Ing. Volker Heinz und wollte wissen, welche Themen auf der Agenda der Veranstaltung stehen und was auf dem Weg zu einer nachhaltigen Lebensmittelindustrie zu beachten ist.

Seite 1/1 8 Minuten

Seite 1/1 8 Minuten

Wo liegen die derzeitigen Herausforderungen für Lebensmittelproduzenten?
Eine der größten Herausforderungen besteht darin, den steigenden Ansprüchen in Bezug auf die Qualität, Nachhaltigkeit und Gesundheit der Lebensmittel gerecht zu werden. Hierzu müssen Lebensmit hochwertigen und attraktiven Lebensmitteln Schritt zu halten.

Wegen stark gestiegener Preise bei Rohstoffen, Energie und anhaltender Lieferkettenprobleme zeigte sich 2022 als bislang schwerstes Jahr für die deutsche Ernährungsindustrie ...
Die extremen Kostensteigerungen bei Energie stellen mittlerweile ein bedeutendes Risiko dar – insbesondere für diejenigen, die auf energieintensive Prozesse angewiesen sind. Wir beobachten zudem, vor welchen Herausforderungen die Branche steht, wenn es um die Versorgung mit Rohstoffen geht. In den vergangenen Jahren haben wir einen Vorgeschmack darauf bekommen, zu welchen Problemen der Klimawandel bei der Rohstoffbeschaffung in Zukunft führen wird. Kommen politische Konflikte wie der Krieg in der Ukraine hinzu, wird deutlich, dass Lebensmittelproduzenten sich anders aufstellen und überlegen müssen, welche Rohstoffe sie regional beziehen können.

Trotz der genannten Herausforderungen setzen die Unternehmen der Branche auf innovative Produkte. Von welchen Trends werden diese geprägt?
Verbraucher achten zunehmend auf die Herkunft ihrer Lebensmittel und bevorzugen lokale Produkte. So hat der Trend zu vegetarischen und veganen Lebensmitteln stark zugenommen, was für Lebensmittelproduzenten bedeutet, dass sie neue Produkte entwickeln müssen, die den Bedürfnissen dieser Zielgruppe gerecht werden. Ein weiterer wichtiger Trend ist die Nachhaltigkeit. Die Verbraucher erwarten heute, dass ihre Produkte auf eine umweltfreundliche Weise produziert werden. Das fängt bei den Rohstoffen an, gilt aber auch für Verpackung und Transport.

„Es ist weniger ein Trend als vielmehr eine Notwendigkeit, dass unser Ernährungssystem nachhaltiger wird.“
 

Was braucht es also, damit der Menschheit in Zukunft genügend gesunde Lebensmittel zur Verfügung stehen?
Neben neuen Technologien braucht es Veränderungen bei den Essgewohnheiten. Um ein nachhaltigeres Ernährungssystem zu etablieren, müssen wir uns Gedanken darum machen, wie effizient es heute noch ist, rund 55 Prozent der Fette und Proteine aus tierischen Quellen zu konsumieren, während uns der technische Fortschritt ermöglicht zahlreiche alternative Protein- und Fettquellen zu erschließen, welche die Umwelt deutlich weniger belasten. Um genau zu sein, ist es weniger ein Trend, sondern vielmehr eine Notwendigkeit, dass unser Ernährungssystem nachhaltiger wird. Sichtbar wird hier auch, dass die Transformation der Lebensmittelindustrie stark mit einem notwendigen Wandel der Agrarwirtschaft zusammenhängt.

Pflanzenprotein als Fleischersatz: Welche Ressourcen sind für eine nachhaltige Nahrungsmittelerzeugung gefordert?
Ökonomisch und ökologisch ist eine stärkere Hinwendung zu pflanzlichen Ressourcen sinnvoll, um unsere Ernährung durch eine Vielzahl pflanzlicher Proteine zu ergänzen. Hier ist es wichtig zu betonen, dass wir einen Mix pflanzlicher und tierischer Proteine für unsere Ernährung brauchen, um alle essenziellen Aminosäuren abzudecken. Daher wird kein pflanzlicher Rohstoff zur alleinigen Proteinquelle werden. Daneben sehen wir Fortschritte bei der Entwicklung von kultiviertem Fleisch und der Präzisionsfermentation zur Produktion von Fleischalternativen und Milcherzeugnissen. Die Weiterentwicklung und die Fortführung zur Marktreife gestalteten sich aktuell durch die hohen Richtlinien und Einschränkungen in der EU jedoch schwierig.

Die Ernährung befindet sich also im Umbruch ...
... was aber nicht bedeutet, dass Fleisch und Milch von der Speisekarte verschwinden werden, aber eine Veränderung der Produktpalette, sowohl ernährungsphysiologisch als auch wirtschaftlich, sinnvoll ist. Neben den Essgewohnheiten müssen wir auch Wege finden, den Abfall von Lebensmitteln zu reduzieren. In der eigenen Küche hat man das selbst in der Hand, aber in der Industrie müssen wir Wege etablieren, die zu weniger Abfall führen, wie beispielsweise eine smarte Logistik sowie die Nutzung von Nebenströmen.

Am Technologiezentrum in Quakenbrück verfügen Sie über eine moderne Infrastruktur zur Entwicklung und Produktion nachhaltiger Lebensmittel – und das auf Basis neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse. Woran arbeiten Sie aktuell?
Am DIL forschen wir gegenwärtig daran, wie wir Proteine aus Gras unmittelbar für die menschliche Ernährung zugänglich machen. Das Grasprotein Rubiseo ist das auf der Welt am häufigsten vorkommende Protein. Erste Berechnungen zeigen, dass wir allein in Deutschland das Potenzial haben, mit nur einem Drittel unserer Grünlandfl.che einen erheblichen Teil des Proteinbedarfs decken können. Diese Transformation könnte Flächen für diverse andere Rohstoffe frei machen. Bis zur Verfügbarkeit des Proteins sind noch einige Schritte zu gehen, jedoch befinden wir uns auf einem guten Weg, mit unserer mit unserer Forschung und Technologie das Ernährungssystem zu transformieren.

„Am DIL forschen wir daran, Proteine aus Gras unmittelbar für die menschliche Ernährung zugänglich machen.“
 

Sind die von Ihnen angesprochenen Trends eher technologiegetrieben oder haben sie primär einen soziologisch-gesellschaftlichen Ursprung?
Auf der einen Seite haben technologische Fortschritte die Produktion effizienter und kostengünstiger gemacht und haben dazu beigetragen, dass neue Produkte und Produktionsmethoden entwickelt wurden. So haben Technologien wie beispielsweise High-Pressure Processing (HPP)
oder Pulsed Electrical Fields (PEF) eine breitere Palette an Lebensmitteln ermöglicht, die haltbarer und ressourceneffizienter sind.

Auf der anderen Seite haben auch gesellschaftliche Entwicklungen und Veränderungen zu den Trends in der Lebensmittelindustrie beigetragen ...
Ja, denn die veränderten Ernährungsgewohnheiten, die zunehmende Forderung nach Nachhaltigkeit und ethischer Verantwortung sowie ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein haben zu einer Nachfrage nach neuen Produkten und Produktionsmethoden geführt. Das steigende Interesse an vegetarischen oder veganen Lebensmitteln und der Wunsch nach lokalen und saisonalen Lebensmitteln sind Beispiele für soziologisch-gesellschaftliche Veränderungen, die zu neuen Trends in der Lebensmittelindustrie beigetragen haben. Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Industrie muss technologische Fortschritte nutzen, um den Herausforderungen zu begegnen und gleichzeitig auf Veränderungen des Verbraucherverhaltens reagieren zu können.

Welchen Impact hatte Corona? Haben sich die Einkaufsgewohnheiten verändert?
Wie jede andere Branche hatte die Lebensmittelindustrie mit den Folgen der Pandemie zu kämpfen. Dazu gehörten der plötzliche Abbruch von Lieferketten oder die Beschränkungen von Mitarbeitern am Arbeitsplatz. Aber auch auf Seite der Verbraucher wurden Veränderungen deutlich. Hierzu hat das DIL zusammen mit der Landesinitiative Ernährungswirtschaft LI Food eine Studie durchgeführt, um das Verbraucherverhalten beurteilen zu können. Die Studie hat signifikante Hinweise gezeigt, dass die Pandemie das Kauf- und Ernährungsverhalten beeinflusst hat. Es wurde mehr Zeit zum Kochen eingeplant und teilweise mehr Geld für Lebensmittel ausgegeben. Insgesamt konnten wir einen Anstieg der Bedeutung von Lebensmitteln beobachten. Eine Verschiebung der Nachfrage hin zu mehr ökologischen und regionalen Produkten konnte jedoch nicht eindeutig nachgewiesen werden.

Wenn sich Mitte Juni die Pforten für den DIL Technology Day öffnen, was können die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erwarten?
Mit dem DIL Technology Day möchten wir den Spagat zwischen spannenden Vorträgen von Akteuren aus der Lebensmittelindustrie und der Demonstration von Technologien schaffen. Mit unserem Technikum, das wir zum Zwecke der Veranstaltung öffnen werden, möchten wir einerseits unsere Technologien zeigen als auch anderen Unternehmen der Branche die Möglichkeit geben, ihre Innovationen vorzuführen und mit verschiedenen Akteuren aus unserem Netzwerk ins Gespräch zu kommen.

„Neben veränderten Essgewohnheiten müssen wir auch Wege finden, den Abfall von Lebensmitteln zu reduzieren.“
 

Mit dabei sind Top-Speaker aus Industrie und Wissenschaft ...
Wir freuen uns beispielsweise, mit Thyssen Krupp einen starken Partner aus der Industrie an Bord zu haben. Das neu errichtete Hochdruckzentrum neben dem DIL ergänzt nicht nur den Forschungs- und Entwicklungsstandort, sondern bereichert auch unsere Veranstaltung. Teilnehmer haben im Rahmen der Veranstaltung die Möglichkeit das Hochdruckzentrum von Thyssen Krupp zu besuchen. Daneben freuen wir uns auch über Speaker wie Friederike Grosse-Holz, Direktorin von Blue Horizon, eines der großen Investmentunternehmen, welches in alternative Proteine investiert. Aber auch Erich Windhab, Professor an der ETH Zürich und in der Industrie hochgeschätzter Experte zu Lebensmittelphysik und -verfahrenstechnik, können wir als Referenten begrü.en. Weitere Inputs zu Themen wie Biotechnologie, Lebensmittelphysik und Nachhaltigkeit runden das Programm zusammen mit zahlreichen Ausstellern ab.

Sie stellen drei Sessions auf dem DIL Technology Day in den Mittelpunkt. Warum haben Sie sich für die Schwerpunkte "Food Technologies", "Food Physics & Biotechnology" sowie "Sustainability – New Concepts for Food" entschieden?
Die Schwerpunkte lassen sich tatsächlich nicht so leicht voneinander trennen und beeinflussen sich alle gegenseitig. An oberster Stelle steht das erklärte Ziel, unser Ernährungssystem nachhaltiger zu gestalten. Um die immer weiterwachsende Weltbevölkerung zu ernähren, müssen wir ressourcenschonender arbeiten. Dazu gehören in erster Linie neue und innovative Technologien, die zum Beispiel den Einsatz von Energie reduzieren oder alternative Proteinund Fettquellen für die menschliche Ernährung zugänglich machen. Hier kommen neue physikalische und biotechnologische Verfahren zum Einsatz. Am Ende sind das die Themen, die Lebensmittelproduzenten heute beschäftigen.

Welche State-of-the-Art-Technologien werden auf dem DIL Technology Day vorgestellt?
Auf dem DIL Technology Day werden sowohl neue Technologien als auch bereits in der Praxis befindliche, innovative Technologien eine Rolle spielen. In erster Linie soll das Event dazu dienen, Freunde, Mitglieder und Kooperationspartner des DIL zusammenzubringen, sich über neue Technologien auszutauschen und sich zu vernetzen. Eine Transformation ist nur mit einem starken Netzwerk auf der Basis von Zusammenarbeit und einem strukturierten Technologietransfer möglich.

Stichwort Food Fraud: Wie authentisch und sicher sind unsere Lebensmittel?
Die deutsche Lebensmittelsicherheit basiert auf einem umfassenden rechtlichen Rahmenwerk, das auf nationaler Ebene und im Einklang mit den europäischen Vorschriften, wie der Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), entwickelt wurde. Durch strenge Kontrollen, Überwachung und Transparenz wird sichergestellt, dass Lebensmittel in jeder Phase der Herstellung, Verarbeitung und Distribution den hohen Sicherheitsstandards entsprechen. Bezüglich Food Fraud und Authentizität müssen wir also klar unterscheiden in sicherheitsrelevante und nicht sicherheitsrelevante Themen.

„Die Industrie muss technologische Fortschritte nutzen, um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen.“
 

Wo sehen Sie beim Lebensmittelbetrug die größten Risiken?
Nicht sicherheitsrelevante Themen, zum Beispiel konventionell statt Bio, Zuckersirup im Honig oder die Kennzeichnung einer falschen Tierart sind zwar deutlich häufiger anzutreffen, aber nicht sicherheitsrelevant, auch wenn dennoch Verbrauchertäuschung stattfindet. Andere Fälle verlaufen dagegen weitaus tragischer, wenn wir an den Melaminskandal und die Auswirkungen dieser toxischen Substanz in Milchpulver und Säuglingsnahrung denken. Heute können wir sagen, dass die wirklich tragischen, aber sehr seltenen Lebensmittelskandale mit gravierenden gesundheitlichen Folgen zumeist durch Kontaminationen verursacht werden, mit denen zunächst niemand rechnet. Gerade hier wird die Analytik stetig verbessert.

Welche Anforderungen erwachsen daraus an die Analytik?
Neben zielgerichteten Analysen kommen vermehrt auch nicht zielgerichtete Methoden wie beispielsweise die Fingerprint-Analytik mittels NMR-Spektroskopie zum Einsatz, die mit Datenbankabgleichen, statistischen Hilfsmitteln und Künstlicher Intelligenz auch dort Gefahren erkennen, wo niemand eine Kontamination oder Verfälschung vermutet. Durch ständige Forschung und Innovationen, an denen sich auch das DIL beteiligt, werden fortlaufend Verbesserungen in der Lebensmittelsicherheit erreicht, um potenzielle Risiken zu minimieren und das Wohlergehen der Verbraucher zu fördern. Wir wollen dies auf dem DIL Technology Day in der Session "Food Physics & Biotechnology" aufgreifen.

Welche inhaltlichen Akzente werden in der Session noch gesetzt?
Physikalische und Biotechnologische Ansätze gewinnen bei der Produktion neuer Lebensmittel immer weiter an Bedeutung. Physikalische Methoden werden eingesetzt, um Lebensmittel auf ihre Qualität, Sicherheit und Nährstoffzusammensetzung zu analysieren, aber auch um eine lange Haltbarkeit bei hohem Nährstoffgehalt zu erreichen. Die bereits erwähnten PEF- und HPP-Technologien sind nur einige Beispiele dafür. Als biotechnologischer Prozess erfährt die Fermentation eine Renaissance. Als mitunter älteste Methode zur Konservierung von Lebensmitteln bietet sie heute die Grundlage, alternative Proteine mit einer neuen Qualität zu verarbeiten. Auch dazu erwarten wir am 13. und 14. Juni spannende Inputs.

Neue Technologien, Automatisierung und digitale Tools zur Unterstützung der Verarbeitungsprozesse – wie nah sind wir der Smart Food Factory?
Automatisierung und digitale Lösungen sind mittlerweile in vielen Bereichen der Lebensmittelproduktion weit verbreitet und haben dazu beigetragen, die Effizienz und Qualität der Prozesse zu verbessern. In den nächsten Jahren wird die Branche voraussichtlich noch weiter fortgeschritten sein. Wir können davon ausgehen, dass die Integration von Automatisierung und digitalen Lösungen in der Lebensmittelindustrie weiter zunehmen wird, da die Unternehmen bestrebt sind, ihre Prozesse weiter zu optimieren und Kosten zu senken. Neue Technologien wie Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge werden ebenfalls eine wichtige Rolle spielen und dazu beitragen, Produktionsprozesse zu verbessern und die Qualität der Produkte zu steigern.

Wo wird Ihrer Meinung nach die Branche in puncto Digitalisierung in fünf Jahren stehen?
Im Bereich der Lebensmittelsicherheit und Rückverfolgbarkeit werden wir wahrscheinlich auch weitere Fortschritte sehen, da digitale Tools es ermöglichen, den Herstellungsprozess in Echtzeit zu überwachen und Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten. Die Verwendung von Robotik in der Lebensmittelproduktion wird ebenfalls zunehmen und dazu beitragen, den Produktionsprozess zu automatisieren und menschliche Fehler zu minimieren.


Das Gespräch führte LT-Chefredakteur Thomas Wiese

×