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Der Einzug der Digitalisierung in die Lebensmittelunternehmen leistet einen wichtigen Beitrag zur Rohstoffeffizienz.
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„Die Begriffe der Ressourceneffizienz und Rohstoffoptimierungen als solches sind recht vage“, meint Bernd Lohse. Vielen Unternehmen sei unklar, wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis aussieht.
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Die Analyse der aktuellen Situation vor Ort ist der erste Schritt auf dem Weg zu verbesserter Effizienz.

„BEREITS EINFACHE MASSNAHMEN ZEIGEN WIRKUNG“

Der nachhaltige Umgang mit natürlichen Ressourcen ist eine der zentralen Herausforderungen der Lebensmittelindustrie. „Ziel muss sein, die Effizienz deutlich zu steigern und die Wertschöpfung der daraus hergestellten Produkte zu optimieren“, so Bernd Lohse im Gespräch mit LEBENSMITTELTECHNIK– ein Thema, das für den Gründer und Inhaber des gleichnamigen Ingenieurbüros (IBBL) aus Winsen an der Luhe „Hand in Hand mit der Digitalisierung“ gehen muss.

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LT: Herr Lohse, warum ist das Thema Rohstoffeffizienz in der Lebensmittelindustrie so wichtig?

Bernd Lohse: Für die Branche stellt der sparsame Umgang mit Rohstoffen als strategisches Ziel eine Möglichkeit dar, Kosteneinzusparen, Abfälle zu vermeiden und durch Ressourcenschonung die Umwelt zu schützen. Auch die Unternehmen sollten naturgemäß ein Interesse daran haben, ihren Rohstoffverbrauch beziehungsweise Rohstoffeinsatz möglichst optimal zu gestalten.

LT: Sie sagen „sollten“ in diesem Zusammenhang...

Lohse: Leider haben Ressourceneffizienz und Rohstoffoptimierungen nicht immer die oberste Priorität. Insbesondere bei zentralen Investitionsentscheidungen kommen diese beiden Aspekte oftmals zu kurz. Obwohl die Unternehmen in der Lebensmittelindustrie über entsprechende Qualitäts- und Umweltmanagementsysteme verfügen, stehen Ressourceneffizienz und Rohstoffoptimierungen primär nicht stets an oberster Stelle auf der Agenda der verantwortlichen Personen.

LT: Wo sehen Sie die Gründe dafür?

Lohse: Die Begriffe der Ressourceneffizienz und Rohstoffoptimierungen als solches sind recht vage. Vielen Unternehmen ist unklar, wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis aussieht. In den meisten Fällen ist der tägliche Produktionsdruck so hoch, dass zur ganzheitlichen Identifizierung der Potenziale und Maßnahmen zur Effizienzsteigerung kein Personal bereitgestellt werden kann. Oft werden Mitarbeiter*innen im Tagesgeschäft mit Aufgaben, wie der Rohstoffeinsatzoptimierung, betraut, die nicht nebenbei abzuarbeiten sind. Als Folge davon sind die Mitarbeiter*innen zusätzlichen Belastungen ausgesetzt, die zu unzureichenden Ergebnissen führen können. Darüber hinaus sind entsprechende Kenntnisse der betriebswirtschaftlichen Rohstoffabrechnungen sowie ein gutes Verständnis der laufenden Produktionsprozesse absolut notwendig, um diese Verantwortung zu übernehmen und zielgerichtet zu bearbeiten.

LT: Dennoch muss es Ziel des Managements sein, die Rohstoffeffizienz zu steigern und die Wertschöpfung der daraus hergestellten Produkte aber auch der Vorprodukte zu optimieren ...

Lohse: ... und das schon deshalb, weil durcheine systematische Analyse und Optimierung der Prozesse weitere erhebliche Kostenreduzierungen erzielt werden können. Der effiziente Umgang mit Materialien und Rohstoffen stellt einen Hebel zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dar. Positive Auswirkungen auf Umwelt und Klimaschutz kommen hinzu. Oft befürchten die verantwortlichen Personen, dass sie mit der Veröffentlichung von Zahlen und Daten auf Schwächen in ihrer Arbeit hinweisen. Diese Denkweise muss komplett überwunden werden, da der Wille nach Veränderungen sowie eine überschaubare Risikobereitschaft im Vordergrundstehen müssen; anders lassen sich so komplexe Themen wie Rohstoffverlustminimierungen kaum bewerkstelligen.

LT: Bei der Ressourceneffizienz geht es darum, mit weniger mehr zu erreichen. Wo setzt man den von Ihnen erwähnten Hebel an, um die Hidden Costs in den Materialflüssen aufzudecken?

Lohse: Material- und Rohstoffeffizienz ist bei produzierenden Unternehmen die Relation von Produkt-Output zu Input. Die Analyse der aktuellen Situation vor Ort ist der erste Schritt auf dem Weg zu verbesserter Effizienz. Grundsätzlich müssen alle Prozesse ganzheitlich vom Rohstoffeingang bis zum Warenausgang aufgenommen, dokumentiert und ausgewertet werden. So ergibt sich die Basis, um die größten Stellschrauben zubinden und Maßnahmen abzuleiten. Bereits einfache Maßnahmen zeigen rasche Wirkung. Dabei sind die Investitionskosten oftmals gering und die Amortisationszeitenkurz.

LT: Welche zum Beispiel?

Lohse: Aus den analysierten Daten lassen sich Indizes oder Kennziffern, wie Abwasserbilanzen, Abweichungen von Rohstoffeingängen zu Rohstoffausgängen, Reworkmengen oder Fehlproduktionsmengen ableiten, aus welchen sich die Optimierungspotenziale herauskristallisieren. Auch bei komplexen Prozessen lässt sich so erkennen, an welchen Stellen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, größere Potenziale zu heben. Ziel der ersten Bestandsaufnahmen ist es, die eigentlichen "Quick Wins" aufzuspüren – schnelle Resultate, die sich mit verhältnismäßig wenig Aufwand erzielen lassen.

LT: Die komplexen Rohstoffströme in den gewachsenen Lebensmittelunternehmen stehen dem häufig entgegen. Worauf fokussieren Sie bei IBBL, um Einsparmöglichkeiten zu erkennen?

Lohse: Wir identifizieren die Stoffströme im Unternehmen, ermitteln Verlustquellen und Einsparmöglichkeiten, stellen Amortisationsbetrachtungen an und begleiten die Lebensmittelproduzenten bei der Vertiefung der Analyse bis zur Umsetzung der Maßnahmen. Unser Hauptfokus liegt in der Verlustminimierung beziehungsweise auf der Vermeidung von Verschwendung. Die zur Verfügung stehenden Rohstoffe sollten idealerweise zu 100 Prozent im herzustellenden Lebensmittel ihren Einsatz finden. Dass diese Vorstellung so nicht umsetzbar ist, steht außer Frage. Sie sollte jedoch als primäres Ziel formuliert werden.

LT: Wie lassen sich im Anschluss die Schwerpunkte für die Umsetzung der Maßnahmenidentifizieren?

Lohse: Als sinnvoll erweisen sich Kennziffern, die das Verhältnis von eingesetzten Rohstoffen zu hergestellten Produkten beschreiben. Gleichzeitig müssen Bilanzen aufbereitet werden, aus welchen ersichtlich wird, welche Stoffe den Betrieb verlassen, die sich gegebenenfalls weiter verwerten lassen. Nachdem die Hauptansatzpunkte in den Produktionsprozessen lokalisiert sind, können wir uns auf die weiteren innerbetrieblichen Aspekte konzentrieren. Hierzu zählen beispielsweise die Überprüfung der Abfüllgenauigkeiten im Hinblick auf die Anforderungen der Fertigpackungsverordnung, Rezepturanpassungen, Minimierung von Rohstoffverlusten auf Basis interner Qualitätskennziffern sowie die Reduzierung von Bruchquoten im Abfüllbereich.

LT: Ressourceneffizienz kann auf vielerlei Arten erreicht werden ...

Lohse: Für sämtliche Ist-Analysen, die ein Potenzial zur Minderung von Rohstoffverlusten besitzen, gilt es folglich konkrete Projekte zu skizzieren, in denen sich kurz-, mittel- oder langfristige Umsetzungsmaßnahmen widerspiegeln. Der "Klassiker" ist es, durch die Optimierungen mit weniger Rohstoffen genauso viel an Endprodukten herzustellen. Eine weitere Möglichkeit ist die Materialsubstitution, was in der Lebensmittelindustrie vor allem ein Thema bei der Auswahl der Verpackungsmaterialien ist. Wichtig ist, dass die initiierten Projekte innerhalb zeitlich kurzer Routinen auf ihren Erfolg überprüfbar sind, so dass zusätzliche oder anderweitige Maßnahmen oder Korrekturen ergriffen werden können.

LT: Wenn exakte Kenntnisse und Transparenz der betrieblichen Abläufe zwingend nötig sind, um die Maßnahmen zu identifizieren, lässt sich dann durch einen höheren Digitalisierungsgrad auch ein höheres Maß an Ressourceneffizienz erreichen?

Lohse: Digitalisierung ist zwar keine zwingende Voraussetzung für mehr Ressourceneffizienz, macht sie aber messbar und die Einsparpotenziale besser nutzbar. In erster Linie ist es wichtig, dass die Produktionsprozesse überwiegend automatisiert sind. Sofern digitalisierte Systeme vorhanden sind, kann man davon ausgehen, dass Prozessparameter für unterschiedliche Betriebsarten und Zustände zur Verfügung stehen und ausgelesen werden können. Wichtig ist dieser Aspekt, um die Prozesse in den vorgegebenen Standards reproduzierbar zu steuern.

LT: Bislang sind nur wenige kleine und mittelständische Betriebe bei Ressourceneffizienzmaßnahmen stark digitalisiert ...

Lohse: Vor allem in den kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlen teilweise Komplettlösungen zur umfassenden Datenerhebung und -nutzung. Weitere Hürden sind die fehlenden Geldmittel für den Aufbau einer komplett digitalisierten Anlagebeziehungsweise Infrastruktur und die fehlende oder erschwerte Nachrüstbarkeit bestehender Systeme. Hinzu kommt, dass projektbezogene Insellösungen später nicht zu umfassenden digitalen Lösungen führen.

LT: Womit Sie einen wichtigen Punkt ansprechen, denn in der Praxis findet die Digitalisierung häufig ohne Berücksichtigung der Ressourceneffizienz statt ...

Lohse: ... was nicht zuletzt daran liegt, dass die beiden Themen isoliert in unterschiedlichen Abteilungen im Unternehmen betrachtet werden. Digitalisierung und Rohstoffeffizienz sollten aber Hand in Handgehen.

LT: Wie lässt sich sicherstellen, dass alle Ergebnisse transparent und nachvollziehbar zwischen den Abteilungen sind?

Lohse: Um detaillierte Kennzahlen aufzustellen und Analysen durchzuführen gilt es, Daten aus den Produktionsprozessen mit denen aus anderen Quellen wie Labor, QS oder Controlling zu vernetzen. Ist der Zugriff auf die Daten eingerichtet, können wir die Informationen für weitere Anwendungen nutzen – etwa zur Optimierung des Entsorgungsmanagements. Von Vorteil ist es, sämtliche primäre und sekundäre Geschäftsprozesse zu visualisieren, um anhand dieser Grundlage relativ schnell Änderungen oder Anpassungen im Team zu diskutieren– ohne das Rad jedes Mal neu erfinden zu müssen. Regelmäßige Reportings sorgen zusätzlich für optimale Transparenz über den Erfolg der Effizienzmaßnahmen.

LT: Was empfehlen Sie?

Lohse: Die betrieblichen Abläufe sollten als Standardprozeduren, sogenannte SOPs, beschrieben sein, damit diese von unterschiedlichen Personen identisch nachzuvollziehen sind. Üblicherweise ist dies im prozesstechnischen Umfeld bereits der Fall, es sei denn, es gibt programm- oder rezepturtechnische Fehler oder sonstige Abweichungen. Gerade im Abfüllbereich sind allerdings viele Abläufe nicht standardisiert. Bevor hier also Optimierungsmaßnahmen ergriffen werden, sollten vorzugsweise Standards entwickelt werden. Andernfalls sind die Ergebnisse möglicherweise nicht reproduzierbar oder führen im Worst Case sogar zu Fehlern oder Fehlinterpretationen.

LT: Welche digitalen Technologien eröffnen konkrete Möglichkeiten für einen nachhaltigen und zukunftsorientierten Umgang mit Rohstoffen?

Lohse: Die jüngsten Entwicklungen üben einen starken Einfluss auf Prozesse und Anlagen aus und versprechen einen höheren Kontrollgrad, indem Software-Lösungen die einheitliche Überwachung ganzer Produktionslinien ermöglichen können. Mithilfe moderner Technologien wie intelligenten Sensoren, gelingt es Fehler im Produktionsablauf zu erkennen – Verbesserungspotenzial wird identifiziert und zukünftige Ereignisse lassen sich vorhersagen. Auf diese Weise lassen sich die Funktionen der Anlagen in Echtzeit überwachen und kontrollieren. Maschinenstillstände werden reduziert, die Verlässlichkeit der On-time-delivery steigt und die Produktivität verbessert sich.

Das Gespräch führten Mareike Bähnisch, freie Fachjournalistin für Prozesstechnik, und LT-Chefredakteur Thomas Wiese

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