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Mittels flexibler Energiebereitstellung lässt sich der residuale Strombedarf künftig über erneuerbare Energien decken.

DIE SUCHE NACH SYSTEMEFFIZIENZ

Für energieintensiven Unternehmen wie Molkereien sind innovative Wege der Energieeffizienz gefragt, die ökologisch und ökonomisch miteinander vereinbar sind. Zu diesem Schluss kommen die Teilnehmer*innen der zweiten Online-Konferenz des Forschungsprojekts BlueMilk, die von der DLG veranstaltet und moderiert wurde. Mit der Initiative will das Institut für neue Energie-Systeme (InES) der Technischen Hochschule Ingolstadt gemeinsam mit Partnern aus der Wirtschaft der Milchindustrie Zugang zu systemeffizienten Konzepten ermöglichen, um sie bestmöglich auf den Wandel vorzubereiten.

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Um nichts weniger als die Energiewende und wie sich dieser Wandel in der Milchwirtschaft am besten vollziehen lässt, geht es im Projekt BlueMilk, das 2018 mit einer Laufzeit von drei Jahren gestartet ist. Gefördert wird das Vorhaben vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Die Mission: Ökonomisch und ökologisch sinnvolle Systemlösungen zu entwickeln, die sich auf die gesamte Industrie der Milchverarbeitung übertragen lassen. „Die Energiewende ist eines der 17 globalen Ziele, zu denen sich die Weltgemeinschaft völkerrechtlich für eine bessere Zukunft verpflichtet hat.

Diese Transformation zu mehr Nachhaltigkeit weltweit gilt als die größte gesellschaftliche Veränderung seit der Industrialisierung. Entsprechend prägend werden die nächsten Jahre die Veränderungen im Bereich der Energieversorgung und der Energienutzung sein“, so Prof. Dr.-Ing. Uwe Holzhammer zu Beginn der Online-Konferenz. Vor diesem Hintergrund rücken für den BlueMilk-Projektleiter systemeffiziente Konzepte weiter in den Vordergrund. „Die Kohlendioxidemissionen müssen massiv reduziert werden. Das ist nur mit relevanter Steigerung der Energieeffizienz, umfangreichem Ausbau der Erzeugung Erneuerbarer Energien und intelligenter Eigenenergiebereitstellung, sowie flexibler Energienutzung möglich.“

Bezug von Energie flexibel gestalten

Zusammen mit Unternehmen aus der Wirtschaft untersuchen Holzhammer und sein Team, wie sich in der Milchindustrie die Systemeffizienz steigern lässt. Eine der Schlüsseltechnologien im Fokus des Vorhabens ist die Kraft-Wärme-Kopplung mittels Blockheizkraftwerken (BHKW). Projektpartner Andechser erzeugt auf diese Weise bereits Strom für den Eigenbedarf und spart so einen deutlichen Teil der bisherigen Energiekosten ein. „Zukünftig könnte durch die Kombination mit zusätzlicher Abwärmenutzung und einem erweiterten Wärmespeicher die Molkerei flexibel Strom für die öffentliche Versorgung bereitstellen“, sagt Volker Selleneit, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team von Holzhammer.

Die flexible Energiebereitstellung gilt als einer der wichtigsten Lösungswege, um den residualen Strombedarf künftig über die erneuerbaren Energien aus Wind und Photovoltaik zu decken. Das Prinzip: Energie wird nur dann bezogen, wenn der Anteil der Erneuerbaren im allgemeinen Versorgungssystem hoch und der damit verbundene Strompreis niedrig ist. Bei wenig Erneuerbaren im allgemeinen Versorgungssystem und damit verbundenen hohen Strompreisen wird der Prozesswärmebedarf über die Eigenerzeugung gedeckt und Strom ins Gesamtnetz eingespeist. Entsprechend muss die Molkerei dann kein oder weniger Strom beziehen.

Abwärme gezielt nutzbar machen

„Die Modellierung auf Basis der herangezogenen Realdaten zeigen, dass das BHKW bei Andechser deutlich größer sein müsste“, so Selleneit. Gleichzeitig seien weitere Konzepte gefragt, um den dann anfallenden KWK-Wärmeüberschuss im Betrieb nutzbar zu machen. Welche Optionen hier für die Molkerei die besten sind, um weitere Stromkosten einzusparen, will der Ingenieur bis zum Ende der Projektlaufzeit im Dezember erarbeiten. Im Fokus der Untersuchungen steht neben Wärmespeichern und dem effizienten Einbinden zusätzlicher Wärmesenken auch der Einsatz von Absorptionskältemaschinen. „Gleichzeitig haben wir den Anspruch, Strategien im Sinne der Systemeffizienz zu finden, bei denen die geringsten CO2-Emissionen bei der Energiebereitstellung in der Milchverarbeitung entstehen“, ergänzt Holzhammer. Dies könne nur „durch eine intelligente und flexible Sektorenkopplung, welche die im öffentlichen Netz verfügbaren erneuerbaren Energien mit einbezieht, gelingen.“

Die bisherigen Projektergebnisse zeigen: In fast allen Anlagen schlummert ungenutztes Potenzial zur Senkung der CO2-Emissionen und Steigerung der Energieeffizienz. Das gilt insbesondere für die hochenergetischen Reinigungsprozesse in Molkereien. BlueMilk widmet sich hier deshalb gezielt den Optimierungsmöglichkeiten. Wie sich Wärme sowie Betriebskosten einsparen lassen, untersuchen die Forscher*innen im Cleaning-in-Place-Prozess bei Zott, einem weiteren BlueMilk-Partner. Eine der wesentlichen Learnings aus dem Projekt: Erst kontinuierliche Messungen an möglichst vielen relevanten Stellen bieten Lebensmittelbetrieben optimale Voraussetzungen für Verbesserungsmaßnahmen. „Zwar wurden in der Molkerei bereits sehr viele Daten erhoben“, erklärt Martin Stöckl. Bestimmte Messgrößen zur Temperatur und zum Volumenstrom fehlten jedoch für eine vollständige und automatisierte Analyse des Energieaufwands pro Reinigung sowie für das Temperieren der Reinigungsmittel. „Ohne diese waren Änderungen in der Reinigung nur schwer darstellbar“, so der InES-Forscher. Abhilfe brachte ein Nachrüsten von Messgeräten im Vor- und Rücklauf der Reinigung sowie eine Anpassung der Methodik für die Auswertung.

Flexible Fahrweise eines Hochregallager

Die Fahrweise eines Hochregallagers zur Kühlung von Molkereierzeugnissen mit Strom aus Wind- und Sonnenenergie emissionsarmer zu gestalten, ist ein weiterer systemeffizienter Ansatz, den BlueMilk untersucht. Die Strategie: Auch hier die Anlagenleistung je nach Anteil an EE im allgemeinen Versorgungssystem anzupassen. Ist er hoch und die Preise niedrig, wird die Temperatur im Hochregallager auf die zulässige Minimaltemperatur für Molkereierzeugnisse herabgesetzt. Der gegenteilige Fall tritt ein, wenn ein geringer Anteil im Versorgungssystem zu hohen Strompreisen führt. „Dann wird die Kühlung im Idealfall abgeschaltet und die Temperatur steigt bis zu einem maximal zulässigen Wert“, erläuterte Michelle d’Harcourt Rowold, wissenschaftliche InES-Mitarbeiterin.

Die Idee hinter diesem Power2Cool-Konzept ist, die gelagerten Produkte als Wärmespeicher zu nutzen, da diese einen entscheidenden Anteil an der Speicherkapazität haben und mehr Kälte aufnehmen beziehungsweise abgeben können als die Luft im Kühlhaus. Mit diesem Prinzip wollen die Forscher*innen die Kühlleistung im flexiblen Betrieb der Anlage sicherstellen, bei gleichzeitig höheren Anteilen an erneuerbarem Strom. „Die Flexibilität liegt hierbei im Ausnutzen von Temperaturschwankungen im Produkt“, so Stöckl. „Je größer diese Schwankungen sein dürfen, desto mehr CO2 lässt sich einsparen.“ Hier besteht aus Sicht des Experten jedoch noch weiterer Forschungsbedarf, was die Auswirkungen dieser Herangehensweise auf die Produktqualität betrifft. Die verbleibende Zeit im BlueMilk-Projekt soll dafür genutzt werden, die bislang getroffenen Aussagen noch stärker in den Praxisbezug zu bringen. Die Ergebnisse sollen dann voraussichtlich im Dezember in einem Workshop abschließend vorgestellt werden. Mareike Bähnisch

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