© Koelnmesse GmbH
Die Anuga FoodTec 2022 rückt alternative Proteinquellen in den Fokus.
© Coperion
Coperion stellt die aktuellen Trends aus dem Bereich Extrusion auf der Anuga FoodTec vor.
© Handtmann
Mit dem Form- und Schneidesystem FS 525 kombiniert Handtmann zwei unterschiedliche Formprinzipien.

TECHNOLOGIE FÜR VEGGIE-PROZESSE

Plant Based Food ist zu einem Erfolgsfaktor im Lebensmittelhandel geworden. Vom 26. bis 29. April thematisiert die Anuga FoodTec die Verarbeitung alternativer Proteine und das erforderliche Know-how entlang der gesamten Prozesskette. Die internationale Zuliefermesse der Lebensmittel- und Getränkeindustrie deckt dabei nicht nur das große Spektrum an Lösungen zur Herstellung pflanzenbasierter Fleischalternativen ab, sondern wirft auch einen Blick in eine Zukunft, in der Insekten und Cultured Meat für mehr Nachhaltigkeit sorgen sollen.

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Vorbei sind die Zeiten, in denen zu einer vollwertigen Mahlzeit unbedingt Fleisch gehörte. Zu diesem Ergebnis kommt eine gemeinsame Umfrage der Ernährungsorganisation ProVeg, Innova Market Insights, der Universität Kopenhagen und der Universität Gent, die europaweit eine klare Verschiebung hin zu einer pflanzlichen Ernährung feststellt. Die Befragung im Rahmen des Forschungsprojekts "Smart Protein" ergab, dass 46 Prozent der europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher ihren Fleischkonsum im Jahr 2019 deutlich reduziert haben. Deutschland landete im europäischen Vergleich mit 51 Prozent hinter Rumänien auf Platz Zwei. Matthias Rohra, Geschäftsführer von ProVeg, bestätigt: „Unsere Ernährung wandelt sich mit großer Geschwindigkeit, die Nachfrage nach innovativen Proteinalternativen steigt. Deutschland hat das Potenzial zum Innovationsstandort, das gilt es, zu nutzen.“

Wie sich dieses Potenzial für die Lebensmittelindustrie erschließen lässt, zeigt die Anuga FoodTec vom 26. bis 29. April in Köln. Neben Soja gewinnen Rohstoffe auf Basis von Leguminosen dabei zunehmend an Bedeutung. Katleen Haefele, International Head of Food Services & Events bei ProVeg, sieht derzeit vor allem regionale Zutaten hoch im Kurs. „Besonders gefragt sind ressourceneffiziente und heimische Proteinquellen, wie Erbse, Ackerbohne oder Lupine“, bestätigt Haefele den anhaltenden Boom auf dem Markt für pflanzliche Alternativen. Auch Algen seien derzeit ein beliebter Rohstoff. „Um im Jahr 2050 mehr als zehn Milliarden Menschen ernähren zu können, müssen wir stark auf die pflanzliche Versorgung setzen und in neue Technologien der Landwirtschaft sowie kultivierte Fleischprodukte investieren“, so die Expertin.

Doch es reicht nicht, tierisches Eiweiß teilweise oder vollständig durch alternative Proteine zu ersetzen. Die Produkte müssen auch in Bezug auf Aussehen, Mundgefühl und Saftigkeit überzeugen. Hier ist Knowhow auf allen Ebenen der Produktion gefragt. Der Fokus der Ingredients-Fachleute liegt vor allem auf der Verbesserung von Textur, Aroma und Geschmack der neuen Lebensmittel. Parallel dazu optimieren die Maschinenbauer die etablierte Anlagentechnik und arbeiten an neuen, innovativen Verfahren, um den Herstellern ein größeres Spektrum an veganen und vegetarischen Produkten zu erschließen.

Die Innovationstreiber zu Gast in Köln

Eine zentrale Rolle auf der Anuga FoodTec spielt deshalb die Extrusion. Ihre vielseitige Anwendbarkeit ermöglicht die Herstellung texturierter Proteine aus pflanzlichen Rohstoffen, deren Strukturen ähnliche Aroma- und Texturprofile erzeugen, wie man sie von Hühnchen-, Schweine- oder Rindfleisch kennt. Die aktuellen Trends in diesem Bereich stellt unter anderen die Coperion GmbH in der Eventzone "Advances in food extrusion" auf der "Main Stage Topics, Trends, Technologies" in Halle 6 am 28. April vor.

Für die Herstellung derartiger Fleischersatzprodukte bietet der Anlagenbauer aus Stuttgart einen Doppelschneckenextruder in Hybrid-Design. Dank einer flexiblen Adapterlösung kann der Austrag in kürzester Zeit von einer Düse mit zentrischer Granulierung auf eine Kühldüse umgerüstet werden – so lassen sich texturiertes Pflanzenprotein, Fleischanaloga mit hohem Wasseranteil und zahlreiche Snacks und Cerealien auf ein und derselben Anlage herstellen. Weiterverarbeiten lässt sich das texturierte Pflanzenprotein auf modernen Anlagen, wie sie auch in der traditionellen Fleischverarbeitung zum Einsatz kommen.

Von der Zerkleinerung, über die Portionierung bis hin zur Verpackung: Auf der Anuga FoodTec finden sich Lösungen für nahezu jede verfahrenstechnische Aufgabenstellung. Zu den Ausstellern in diesem Segment zählen marktführende Unternehmen wie die Maschinenfabrik Seydelmann aus Stuttgart oder Vemag Maschinenbau aus Verden. Herzstück ihrer modularen und (teil-)automatisierten Komplettlösungen sind neben Kuttern, Wölfen, Mischern und Vakuumfüllern nicht zuletzt auch Formsysteme.

Gerade bei Fleischersatzprodukten auf Gemüse- oder Tofu-Basis, die schnell zubereitet oder als Snack verzehrt werden können, ist deutlich mehr Vielfalt bei der Formgebung veganer und vegetarischer Convenience-Produkte gefragt, als noch vor einigen Jahren. Die Albert Handtmann Maschinenfabrik aus Biberach regiert darauf beispielsweise mit dem Form- und Schneidsystem FS 525, das zwei Formprinzipien kombiniert. Mit der Lochplatten-Formtechnik lassen sich frei geformte 3D-Produkte wie Bällchen und Frikadellen herstellen. Mit dem Rotationsschneider können dem gegenüber unterschiedliche Querschnitte mit glattem Schnitt produziert werden, beispielsweise für Gemüsepatties oder Nuggets. Der optionale Einsatz eines Plättbandes mit Strukturrollen erweitert die Möglichkeiten zusätzlich.

Insekten als Teil der nachhaltigen Zukunft

Seit langem raten Expertinnen und Experten dazu, auf alternative Proteinquellen umzusteigen, nicht nur um den Konsum klassischer tierischer Nahrungsmittel zu reduzieren beziehungsweise diese zu ersetzen, sondern auch, um zu mehr Nachhaltigkeit beizutragen. Als Kooperationspartner der Koelnmesse GmbH wird BALPro, der Verband für Alternative Proteinquellen e.V., die Innovationsbühne der Anuga FoodTec nutzen, um über diesen Aspekt zu informieren. Neben Restströmen aus der Lebensmittelproduktion, die zu proteinreichen innovativen Produkten weiterverarbeitet werden sollen, rücken dabei Insekten in den Fokus. Und das aus gutem Grund, denn die insektenbasierte Herstellung von Lebensmitteln ist ressourcenschonender und klimafreundlicher als die konventionelle Fleischproduktion. Sie verbraucht laut einer FAO-Studie bis zu zwölfmal weniger Futtermittel als die der äquivalenten Menge an Rindfleisch, wodurch auch der Wasser- und Flächenverbrauch verringert wird. Gleichzeitig enthalten Insekten bis zu 66 Prozent Eiweiß, alle essenziellen Aminosäuren sowie Vitamin B12.

Seit Inkrafttreten der Europäischen Novel-Food-Verordnung im Jahr 2018 gab es rund fünfzehn Prüfanträge für insektenbasierte Lebensmittel. Anfang Mai 2021 hat der gelbe Mehlwurm als erstes Insekt überhaupt in der EU die Zulassung als neuartiges Lebensmittel erhalten – eine Entwicklung, die von der BALPro-Arbeitsgruppe "Speiseinsekten Deutschland" begrüßt wird. „Unsere Arbeitsgruppe möchte zusammen mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft Ansatzpunkte finden, die eine politische Förderung der Thematik rund um Speiseinsekten ermöglichen“, erläutert

Marc Schotter, Gründer von Insnack, einem Berliner Start-up, das sich auf die Herstellung von insektenbasierten Knabber-Snacks spezialisiert hat. Der Leiter der Arbeitsgruppe sieht noch einen weiteren Vorteil: „Insekten können von Lebensmittelabfällen ernährt werden. Auf diese Weise entsteht bei ihrer Haltung eine komplette ressourcenschonendere Wertschöpfungskette“, so Schotter.

Cultured Meat und seine Perspektive

Das Erschließen neuer Proteinquellen aus Pflanzen oder Insekten sind zwei der Optionen auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Lebensmittelproduktion. Noch ein Schritt weiter geht die zelluläre Landwirtschaft. Um die Vision "Tierprodukte ohne Tiere" möglich zu machen, kreiert sie aus Tierzellen oder Mikroorganismen wie Hefe, Bakterien und Pilzen Fleischprodukte, die dem Original in nichts nachstehen – direkt im Fermenter dank moderner Biotechnologie. Bereits über 70 Start-ups weltweit widmen sich der Forschung auf dem Gebiet Cultured Meat. Einige davon waren im Oktober auf der New Food Conference vertreten, die während der Ernährungsmesse Anuga stattfand.

Doch werden die Verbraucherinnen und Verbraucher die Produkte auch kaufen? „Die Jüngeren, gut Informierten sind sehr offen dafür“, meint Mathilde Alexandre, die bei ProVeg International das Projekt "CellAg" koordiniert. Noch ist kultiviertes Fleisch eine Vision. Auf dem Markt gibt es bisher nur Chicken Nuggets von Eat Just in Singapur. Dass die Zulassungen aber kommen und die technischen Herausforderungen gemeistert werden, darin stimmen die Expertinnen und Experten überein.

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